"Es passiert in allen sozialen Schichten"

Wir bieten bei hŠuslicher Gewalt eine anonyme und kostenlose Erst- und Krisenberatung.

Wir sprechen mit Jutta Dreyer, Familientherapeutin und Beraterin an der Lebenslagen-Hotline des pme Familienservice. Die Lebenslagen-Hotline bietet den BeschŠftigten ihrer Vertragspartner*innen eine anonyme und kostenlose Erst- und Krisenberatung fŸr Frauen, Kinder und weitere Personen, die von hŠuslicher Gewalt betroffen sind.

Die Lebenslagen-Hotline ist tŠglich erreichbar von 0 bis 24 Uhr, an 365 Tagen im Jahr (auch an Feiertagen).

Telefonnummer: 0800 801007070 (fŸr pme-Kund*innen)

Website: www.familienservice.de/pme-assistance/lebenslagen-coaching

Die Beratung wird in Deutsch, Englisch, RumŠnisch, NiederlŠndisch, Italienisch und Franzšsisch angeboten.

 

Frau Dreyer, wo fŠngt hŠusliche Gewalt an?

Jutta Dreyer: Mit hŠuslicher Gewalt ist Gewalt gemeint, die in Paar- oder Ehebeziehungen passiert. Sie kann aber auch zwischen Geschwistern, gegen Kinder durch die Eltern oder gegen Eltern durch jugendliche Kinder verŸbt werden. Bei uns in der Beratung haben wir zudem oft den Fall, dass Šltere Menschen durch ihre pflegenden Angehšrigen Gewalt erfahren. Meistens passiert hŠusliche Gewalt in den eigenen vier WŠnden.

HŠusliche Gewalt reicht von Beleidigungen, Verboten, Drohungen und DemŸtigung bis hin zu kšrperlicher, seelischer, sexueller und škonomischer Gewalt, wenn die Betroffenen finanziell abhŠngig sind vom TŠter. Meistens erleben die Betroffenen mehrere dieser Gewaltformen gleichzeitig.

Wer ist von hŠuslicher Gewalt betroffen?

HŠusliche Gewalt gibt es in allen sozialen Schichten und jeder kann davon betroffen sein. In der Regel sind es Frauen, die physische, psychische und sexuelle Gewalt durch ihre Partner erleben. Es gibt auch MŠnner, die Opfer von hŠuslicher Gewalt werden. In vier von fŸnf FŠllen sind aber Frauen die Opfer.

Sie sagten, auch Kinder werden Opfer von hŠuslicher Gewalt.

Leben Kinder im Haushalt, sind sie hŠufig selbst Opfer physischer †bergriffe oder extrem beeintrŠchtigt, weil sie die Gewalt und das Klima der Angst und EinschŸchterung miterleben mŸssen. Oft versuchen die Kinder die Mutter zu beschŸtzen und sind LoyalitŠtskonflikten dem Vater gegenŸber ausgesetzt. Die Kinder leiden meistens sehr lange an psychischen Folgen und zeigen VerhaltensausfŠlligkeiten sowie Angst- und Entwicklungsstšrungen.

Bemerken Sie in der Beratung seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie einen Anstieg der Anrufe von Frauen, die von hŠuslicher Gewalt betroffen sind?

Bei hŠuslicher Gewalt muss unterschieden werden zwischen spontanem Konfliktverhalten und systematischem Kontrollverhalten. Bei der systematischen Gewalt geht es dem TŠter darum, die Beziehung zu beherrschen und Macht auszuŸben. Die Opfer sind hier fast ausschlie§lich Frauen. Gewalt als spontanes Konfliktverhalten entsteht aus dem Affekt, wenn ein Streit oder Konflikt eskaliert. Hiervon sind Frauen und MŠnner Ÿbrigens gleicherma§en betroffen.

Wir merken bei uns in der Beratung, dass die FŠlle von spontaner hŠuslicher Gewalt in diesem Jahr angestiegen sind. Die eingeschrŠnkte Bewegungsfreiheit wŠhrend des Lockdowns hat bei vielen Paaren zu gro§em Stress gefŸhrt. Vor allem Paare und Familien, die zuvor schon Probleme hatten, stehen unter gro§em Druck, der jetzt au§erhalb des eigenen Heims kein Ventil mehr findet, zum Beispiel beim Sport oder bei persšnlichen Treffen mit anderen. Auch Alkohol spielt sicher eine Rolle, denn wŠhrend des Lockdowns ist der Konsum in den eigenen vier WŠnden bei vielen gestiegen.

Warum bleiben viele Frauen in den Beziehungen?

Viele Frauen haben Angst, dass die Situation im Moment der Trennung eskalieren kšnnte. Deshalb ist es in der Beratung wichtig, an dieser Stelle sehr umsichtig zu sein, einen Notfallplan zu entwickeln und alles in die Wege zu leiten, damit die Frauen und ihre Kinder geschŸtzt sind. Zum anderen haben viele Frauen finanzielle €ngste, machen sich Sorgen, ihre Kinder aus ihrer gewohnten Umgebung zu nehmen, und wissen nicht, ob sie die VerŠnderungen nach einer Trennung meistern kšnnen. Die meisten MŠnner sind phasenweise auch wieder sehr liebevoll. Oft entschuldigen sich die TŠter auch, nachdem sie gewalttŠtig waren, und versprechen, es nie wieder zu tun. Dadurch hoffen viele Frauen, dass es wieder besser wird.

Wie kšnnt ihr den Frauen helfen, sich zu entscheiden?

FŸr viele Frauen ist es wichtig, dass sie dort abgeholt werden, wo sie stehen, und dass ihnen jemand zuhšrt, ohne Druck auszuŸben oder sie zu einer Entscheidung zu drŠngen. Wir informieren sie Ÿber ihre Rechte und die Hilfs- und UnterstŸtzungsmšglichkeiten, so dass sie sich fŸr oder gegen eine Trennung entscheiden kšnnen. Es ist wichtig, dass wir gemeinsam mit den Frauen ein ãBildÒ zeichnen, das eine Zukunft beinhaltet, die aus ihrer Sicht funktionieren kann. Wir wollen die Frauen ermutigen, ihre StŠrken und Ressourcen zu erkennen und zu sehen, was sie alles schon erreicht haben.

Wenn sich eine Frau zur Trennung entscheidet, wie helft ihr konkret weiter?

Das hŠngt natŸrlich stark von der Situation ab, in der die Frau ist. Wenn die Situation zu eskalieren droht, tun wir alles zu ihrem Schutz: Wir rufen die Polizei als UnterstŸtzung oder ein Taxi, wenn es schnell gehen muss. Wenn die Frauen ihre Wohnungen verlassen mšchten, recherchieren wir FrauenhŠuser, suchen andere geschŸtzte PlŠtze wie Pensionen oder Ÿberlegen, bei welchen Freundinnen oder Verwandten sie einen sicheren Ort finden kšnnten.

FŸr viele Frauen ist die Beratung aber ein erster Schritt, um in Erfahrung zu bringen, wie der Weg aus der Gewalt aussehen kšnnte, was ihre Mšglichkeiten sind und wo es finanzielle Hilfen gibt.

Was tun, wenn Kinder von der hŠuslichen Gewalt betroffen sind? Wie kšnnen sie geschŸtzt werden?

Wenn Kinder von hŠuslicher Gewalt betroffen sind und wir den Eindruck haben, dass sie in akuter Gefahr sind, dann sind wir auch verpflichtet zu handeln. Ich rate auch den MŸttern, das Jugendamt zu informieren, wenn ihre Kinder von Gewalt betroffen sind. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die JugendŠmter sehr durchdacht und fachlich gut vorgehen und versuchen, die Familien sehr gut zu unterstŸtzen. Bei uns in der Beratung haben wir auch Expertinnen zum Kinderschutz, die wir nach Wunsch hinzuziehen kšnnen.

Was viele Frauen nicht wissen: Es gibt ein Recht auf kšrperliche Unversehrtheit. Das bedeutet: In dem Moment, wo eine Person in der eigenen Wohnung bedroht wird, wird Ÿber Gerichtswege entschieden, dass die Wohnung dem Opfer zugesprochen wird und der Partner sie verlassen muss.

Welche Angebote gibt es fŸr MŠnner, die nicht mehr TŠter sein wollen?

Es gibt TŠterprogramme, und die sind sehr erfolgreich, sofern die MŠnner bereit sind, sich darauf einzulassen und ihr Verhalten Šndern mšchten. Wer sich darŸber informieren mšchte, kann sich an die MŠnnerberatungsstellen wenden.

Vielen Dank fŸr das Interview!


Jutta Dreyer ist Familientherapeutin und Leiterin des pme Lebenslagen-Coachings sowie FŸhrungskrŠfte-Coach beim pme Familienservice.