Online-Beratung: ãDie Barrieren sind im KopfÒ

"Ich bin erstaunt, wie schnell Menschen sich bei einer Online-Beratung šffnen", sagt Psychologin Mandy Simon.

Keine Wartezeiten, šrtlich flexibel und ohne Infektionsgefahr: Die Online-Beratung erfŠhrt in der Corona-Krise einen AufwŠrtstrend. Psychologin Mandy Simon arbeitet seit elf Jahren an der Lebenslagen-Coaching-Hotline des pme Familienservice. Wir haben mit ihr Ÿber die Mšglichkeiten der Online-Beratung gesprochen und Ÿber die Hilfen, die sie bietet.

Frau Simon, bei welchen Fragen und Problemen bieten Sie Ihre Hilfe an?

Mandy Simon: Unsere Kund*innen kšnnen uns zu allen Lebenslagen anrufen, ob privater oder beruflicher Natur. Das kšnnen Probleme in der Beziehung sein, Schwierigkeiten im Home-Office, finanzielle Sorgen, €rger mit einem Kollegen, oder dass ich ganz einfach das GefŸhl habe, mir geht es momentan nicht gut.

Das klingt, als kšnne ich mich so gut wie bei jedem Problem an die Online-Beratung wenden?

Ja, unser oberstes Ziel ist, niemanden im Regen stehen zu lassen und den ãRucksackÒ fŸr die anrufende Person leichter zu machen. Wenn ich merke, mein GegenŸber braucht weitere, externe Hilfe, dann suche ich lokale UnterstŸtzung. Zum Beispiel wenn es um Trennungsproblematiken geht und den Unterhalt und das Sorgerecht fŸr die Kinder. Dann wŸrde ich meinen Kunden oder meine Kundin an einen Anwalt fŸr Familienrecht vermitteln, als Ansprechpartnerin fŸr die psychosoziale Begleitung aber weiterhin zur VerfŸgung stehen.   

ãBei einer Online-Beratung bekomme ich sofort Hilfe.Ò

Was ist der Unterschied zwischen einer Online-Beratung bzw. einem Coaching und einer Therapiesitzung?

Wir Coaches arbeiten mit Methoden, die Menschen helfen, ihre persšnlichen BewŠltigungsmechanismen und das Vertrauen in sich selbst wieder zu finden. Beispielsweise wenn gro§e Angst vor PrŸfungen besteht, die Paarbeziehung auf der Kippe steht, der Job einem Ÿber den Kopf wŠchst. Eine Psychotherapie richtet sich an Menschen, die sich durch ihr Problem im Alltag eingeschrŠnkt fŸhlen, so dass es intensivere Behandlung und andere Methoden braucht. Und nur wer Ÿber eine Approbation in Psychotherapie verfŸgt, darf Menschen auch psychotherapeutisch behandeln. Der Unterschied liegt also im Leidensdruck und in der EinschrŠnkung im Alltag.

Und auf einen Therapieplatz muss ich sehr lange warten.

In der Regel bis zu drei Monaten und oft sogar lŠnger. Dann kann ein Problem schon wieder vorbei oder verschluckt sein, oder der Mut ist weg, sich diesem Problem zu stellen. Bei einer Online-Beratung bekomme ich sofort Hilfe. Und der Coach oder die Beraterin kšnnen mich beispielsweise auch wŠhrend der Wartezeit auf einen Therapieplatz gut begleiten.
 

"Ob persšnlich, per Video oder am Telefon: Es geht darum, dass sich jemand Zeit fŸr mich und mein Anliegen nimmt."

Wie kšnnen Online-Berater*innen trotz fehlenden persšnlichen Kontakt ein Vertrauen zu ihren Kund*innen aufbauen?

Beratungsarbeit ist Beziehungsarbeit. Ich baue Vertrauen auf, indem ich meinem GegenŸber signalisiere: Ich nehme mir Zeit fŸr dich, und ich bin jetzt nur fŸr dich und dein Anliegen da. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich das persšnlich, im Video-Coaching oder am Telefon mache. Letztlich geht es um eines: Da ist ein GegenŸber, das sich auf mich einlŠsst, sich Zeit fŸr mich nimmt, um gemeinsam konstruktive Lšsungen zu finden.

NatŸrlich gibt es immer noch eine persšnliche Komponente, wenn mir die Stimme meines Beraters zum Beispiel nicht sympathisch ist.

Dass mir ein Coach unsympathisch ist, kšnnte mir auch in einer persšnlichen Beratung passieren.

Das stimmt. Insofern ist der Unterschied hier nicht so gro§, wie man allgemein glauben mag. Ich denke, dass die Barriere, sich auf eine Online-Beratung einzulassen, eher im Kopf besteht. Meine Kolleg*innen und ich sind immer wieder erstaunt, wie schnell sich Menschen šffnen Ð ob am Telefon oder in einer Videoberatung.

Warum denken Sie, dass sich manche Menschen schneller am Telefon oder in der Videoberatung šffnen?

FŸr manche ist es in der Tat viel leichter, wenn sie nicht die Mimik des Beraters sehen, da sie schnell aus dem Konzept kommen, wenn sie nur den leisesten Zweifel oder Misstrauen im Blick ihres GegenŸbers wahrnehmen. Die Beratung am Telefon kann auch den Vorteil haben, dass bestimmte Bewertungsmechanismen wegfallen: Wie sieht meine Beraterin oder mein Berater aus? Wie alt ist sie oder er? Wie ist das Zimmer eingerichtet? Viele Kund*innen kšnnen sich am Telefon besser auf die Beratung und ihr Anliegen konzentrieren.

Genauso gibt es Menschen, denen es am Telefon sehr schwerfŠllt, sich zu šffnen und ihren GesprŠchspartner sehen wollen. Insofern haben wir fŸr alle das passende Medium: Telefon, Video oder persšnlich.

Es ist also mšglich, von der Online-Beratung zur persšnlichen Beratung zu wechseln?

Ja, genau. Es ist mšglich, flexibel zwischen den Beratungsformen zu wechseln, also erst zu telefonieren und dann fŸr ein persšnliches GesprŠch zu uns in die Standorte zu kommen Ð natŸrlich mit entsprechenden Abstands- und Hygienema§nahmen.

Sonst bieten Sie vielleicht ein Glas Wasser an. Wie ersetzen Sie am Telefon oder Ÿber Video kleine Gesten fŸr einen leichteren GesprŠchseinstieg?

Indem ich meine Kunden zunŠchst in unser Online-Coachingsystem einfŸhre, ihnen alles in Ruhe erklŠre und kleine †bungen mit ihnen mache, damit sie das Tool gut bedienen kšnnen. So schaffen wir einen persšnlichen und greifbaren Rahmen, in dem wir uns ganz locker kennenlernen kšnnen.

ãFŸr manche ist es leichter, wenn sie die Mimik ihres Coaches nicht sehen.Ò

Kšnnen Sie nachvollziehen, dass es Berater*innen gibt, die der Online-Beratung kritisch gegenŸberstehen und der Ansicht sind, sie ersetze kein persšnliches GesprŠch?

Das kann ich durchaus verstehen, weil es eine andere Beratungsform ist, auf die sich Berater*innen, Therapeut*innen, Coaches und Klient*innen natŸrlich erst einmal einlassen mŸssen. Trotzdem wŸrde ich gerne dazu ermutigen, es auszuprobieren und zu schauen: SchrŠnkt es mich wirklich so sehr ein, und versage ich es mir deshalb, UnterstŸtzung in Anspruch zu nehmen? Insbesondere jetzt in der Corona-Krise, wenn eine persšnliche Beratung sowieso nicht zu empfehlen wŠre.

Muss ich als Online-Berater*in oder Online-Coach etwas anderes kšnnen, als wenn ich persšnlich berate?

Wir haben ein Online-Coaching-Tool, das alle unsere Coaches kennen und bedienen lernen mŸssen. Wir schulen immer wieder nach und geben acht, dass alle auf demselben Stand sind und bleiben. Wir Ÿben auch untereinander, damit wir sicher damit umgehen und uns ganz auf die Beratung konzentrieren kšnnen.

Und abseits der Technik?

Wenn ich beispielsweise ein Paar online berate und merke, die schauen sich gar nicht an, dann muss ich natŸrlich Ÿberlegen, wie bekomme ich es hin, dass sie sich nicht beide ins Wort fallen. Das hat fŸr mich aber eher etwas mit SensibilitŠt zu tun als mit bestimmten Skills, die ich in einem Kurs erlernen kann.

"Durch die Corona-EinschrŠnkungen fallen unsere frŸheren Ausgleiche weg."

Was schŠtzen Ihre Kund*innen besonders?

Dass sich jemand Zeit nimmt und sie in Ruhe alles erzŠhlen kšnnen, was sie beschŠftigt oder bedrŸckt, und dass jemand zuhšrt und neue Impulse gibt im Sinne von Handlungsempfehlungen.

Was bedrŸckt die Menschen momentan besonders?

Die Grundstressbelastung nimmt zu. Durch die Corona-EinschrŠnkungen fallen viele unserer frŸheren Ausgleiche weg, wie zum Beispiel mit Freunden nach der Arbeit was trinken oder zum Sport gehen. Die Pflichten bleiben, der Spa§ fŠllt aus. Das stresst natŸrlich, und diese fehlenden Ausgleiche mŸssen jetzt anders kompensiert werden und das ist nicht einfach.

Dazu kommen im Winter ErkŠltungen, Grippe und das Coronavirus. Man begibt sich in QuarantŠne, arbeitet von zuhause, muss gleichzeitig vielleicht noch die Kinder betreuen. Da kommen wir Ÿber kurz oder lang an unsere natŸrlichen Belastungsgrenzen, die ein Ventil brauchen. Niemand von uns ist Superman oder Superwoman, auch wenn wir das alle gerne wŠren.

Mandy Simon ist Diplom-Psychologin und systemischer Coach in Organisationsentwicklung beim pme Familienservice. Au§erdem ist sie zertifizierte Online-Beraterin. Als Fachberaterin unterstŸtzt sie FŸhrungskrŠfte und Mitarbeiter*innen sowohl in akuten †berlastungssituationen als auch in der Burnout-PrŠvention.Seit 2009 arbeitet sie an der Lebenslagen-Coaching-Hotline des pme Familienservice.