Wenn Kleinkinder kratzen, schlagen oder bei§en

Wut von Kindern verstehen. Ein Beitrag von Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel.

Wenn Kleinkinder kratzen, bei§en und schlagen kommt das meist so plštzlich, dass es nicht mšglich ist, das angreifende Kind vorher zu stoppen. Eltern, Kinder und PŠdagogen sind mitunter erschrocken, wie heftig manche Kinder andere attackieren. Was dahinter steckt, wenn Kinder plštzlich aggressiv sind, erklŠrt Verhaltensbiologin Gabriele Haug-Schnabel.

Ein zerkratztes Gesicht oder Bisswunden tun weh, sind lŠngere Zeit sichtbar und lšsen bei Eltern und PŠdagogen oft Wut auf den oder die Angreifer*in und Sorge um das (eigene) betroffene Kind aus. Eltern, deren Kinder sich aggressiv verhalten, fŸhlen sich oft hilflos oder geben sich die Schuld fŸr das ãFehlverhaltenÒ des eigenen Kindes.

Was steckt dahinter, wenn Kleinkinder aggressiv sind, Frau Haug-Schnabel?

Die entwicklungsbedingten Ursachen und Motive fŸr aggressives Verhalten bei Kindern unter 3 Jahren sind herausfordernd.

Beginnt ein Kleinstkind zu weinen, versichern sich Gleichaltrige in seiner NŠhe der Anwesenheit und Zugewandtheit ihrer Bezugspersonen und beginnen oft ebenfalls zu weinen. Der Grund hierfŸr ist die angeborene GefŸhlsansteckung, die in verunsichernden Situationen durch Irritation und Angst gestartet wird. Sie ist zwar auch eine Art Mitempfinden, aber ohne dass das ãangesteckteÒ Kind erkennt, dass das subjektive Empfinden einer anderen Person die Ursache seiner Verunsicherung ist. Lieber mitweinen, wenn in meiner NŠhe Unerwartetes passiert, denn dann bekomme auch ich Hilfe.

Erst zwischen 15 und 24 Monaten wird sich ein Kind immer mehr seiner selbst und seines Tuns bewusst. Erst jetzt kann es in einer Situation zwischen seinen eigenen PlŠnen und seinem Empfinden und den GefŸhlen und Absichten eines anderen Kindes unterscheiden und diese voneinander trennen.

"Selten mšchte ein Kind andere mit Absicht schŠdigen."

Hier handelt es sich um einen Entwicklungsquantensprung: die Selbstbewusstheit startet. Das Kind wird sich seiner Empfindungen und Aktionen bewusst und kann ein mitempfundenes GefŸhl auf den/die eigentlich Betroffene/n beziehen. Das bedeutet, es kann nun Ÿber die Empfindungen und Absichten anderer Ð getrennt von seinen eigenen Ð nachdenken.

Erst jetzt stellt sich die Frage, ob eine gegen ein anderes Kind gerichtete Aggression ãabsichtlichÒ, d.h. mit SchŠdigungsabsicht war, was selten der Fall ist. Meist geht es nur darum, das eigene ãUnglŸcklich-SeinÒ zu beenden! Das andere MŠdchen, der andere Junge sollen einfach weggehen, nicht mehr stšren!

Jetzt ist im Entwicklungsverlauf vorgesehen, dass sich Kinder Ð dank des startenden Ich-Bewusstseins Ð immer mehr Orientierung, Wissen, Kenntnisse, FŠhigkeiten und FreirŠume verschaffen Ð auch gegen WiderstŠnde.

"Ein Scheitern oder eine Einmischung bewirken einen Zusammenbruch."

Ein Scheitern, ein Stopp oder eine Einmischung bewirken in diesem Alter fŸr einige †bergangswochen einen Zusammenbruch, da das Kind anfangs bei der Durchsetzung seiner Vorstellung nach starrem Muster vorgehen muss: Es kann sich noch nicht situativen Gegebenheiten anpassen oder auf WŸnsche anderer, die seinen Plan stšren, eingehen. Zudem ist es in seinem Spiel kognitiv, emotional und motivational so engagiert, dass es fŸr einen Abbruch oder eine kleine AbŠnderung seines Vorhabens zu spŠt ist. Seine VorstellungskapazitŠt reicht fŸr einen alternativen Handlungsverlauf noch nicht aus.

Je verstŠndnisvoller diese Situationen zu Hause und in der Krippe begleitet werden, desto schneller kšnnen die Kinder diese kognitiv-soziale HŸrde nehmen.

Dr. habil. Gabriele Haug-Schnabel ist Leiterin und Mitinhaberin der Forschungsgruppe Verhaltensbiologie des Menschen (FVM, GdbR) sowie Autorin und Referentin zum Thema ãKindliches VerhaltenÒ

Wie gehen wir in unseren Kitas mit Aggressionen von Kindern um?

In der PŠdagogik der pme Lernwelten geht es nicht darum, Aggressionen und Konflikte zu unterbinden. Sie gehšren zum alltŠglichen Miteinander. Ohne Konflikte kšnnen Kinder keine Strategien fŸr deren BewŠltigung entwickeln. Deshalb wollen wir die Kinder dabei unterstŸtzen, angemessene Reaktionen bei Konflikten und Aggressionen zu erlernen.

Aggressive Verhaltensweisen treten bei Kindern zwischen ein und fŸnf Jahren hŠufig entwicklungsbedingt auf und verschwinden dann wieder. Manchmal sind sie Ausdruck von GefŸhlen, die das Kind sprachlich noch nicht Šu§ern kann, oder sie stellen den Versuch dar, eine soziale Verhaltensweise zu ãtestenÒ. Bei§en ist manchmal eine Begleiterscheinung des Zahnens.

Uns ist es wichtig, immer beide Kinder zu sehen. Beide Kinder Ð das verletzte Kind und das Kind, das gekratzt, gebissen, geschubst oder geschlagen hat - haben mit Herausforderungen umzugehen. Wir helfen ihnen, diese zu bewŠltigen.

Wichtig: schnelles, gezieltes Handeln

Bei all diesen aggressiven Verhaltensformen ist es uns wichtig, schnell und gezielt zu handeln. Wir haben deshalb Standards fŸr das pŠdagogische Handeln unserer FachkrŠfte im Ernstfall entwickelt. Trost und Wundversorgung fŸr das betroffene Kind stehen dabei immer an erster Stelle, aber auch das Kind, das sich aggressiv verhŠlt, begleiten wir. Wir belohnen ein solches Verhalten keineswegs, aber wir grenzen ein Kind deshalb niemals aus.

Wenn Kinder bei§en, kratzen oder schlagen, beobachten wir sehr genau:

Zudem achten wir darauf, was dem Kind in unserer Kita guttut:

Wir reflektieren daraufhin unseren Alltag: Wo gibt es potenzielle Stresssituationen und rŠumliche Engstellen? Wie kšnnen wir hier zum Beispiel durch eine verŠnderte Raumgestaltung oder die Situation entspannende Ma§nahmen im Tagesablauf vorbeugend tŠtig sein?