Zwei ukrainische Mädchen halten eine ukrainische Flagge hoch
Psyche

"Der Mensch ist zerrissen zwischen zwei Welten"

Im Februar 2022 griff Russland die Ukraine an, die Kämpfe dauern bis heute. Für Diana ist es mittlerweile “Normalität”, dass ihre Familie in einem Kriegsgebiet lebt. Sie selbst wohnt in Hamburg und arbeitet als systemische Beraterin im Lebenlagencoaching beim pme Familienservice. Wie kann man lernen, mit der Trauer und Angst umzugehen, dass geliebte Menschen bedroht sind?

Hallo Diana, schön, dass du dir die Zeit nimmst. Als du im Februar 2022 von den Angriffen auf die Ukraine gehört hast, wie hast du dich gefühlt?

Diana: Die ersten Tage und Wochen waren sehr schwer. Man begreift nicht, was passiert. Gleich am ersten Tag hatte ich das Gefühl, als hätte ich schon alle verloren – als ob alle tot wären. Die Trauer war überwältigend, und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.

Man muss sich etwas Zeit geben, dann wird alles etwas klarer: Wie ist die Situation vor Ort, was genau passiert. In der Ukraine sahen wir, dass das Land sich verteidigt und die Menschen nicht einfach aufgaben. Das wurde dann auch mein Mindset und ich dachte mir: Wenn sie nicht aufgeben, warum sollte ich dann auseinanderfallen? Diese Haltung hat mir geholfen, nicht in einer passiven Sorge zu versinken. 

Als Psychologin weiß ich: Reale Ängste kann man nicht einfach abschalten – und das sollte man auch nicht. Sie sind wichtig, weil sie uns zum Selbstschutz motivieren. Es geht also nicht darum, die Angst oder Sorgen loszuwerden. Diese Gefühle bleiben, aber man kann lernen, mit ihnen zu leben."

Wie hast du gelernt, mit dieser Angst zu leben, ohne daran zu zerbrechen? 

Für mich war es damals wichtig, aktiv zu werden und etwas zu tun, das mir das Gefühl gab, handlungsfähig zu sein. Das schlimmste Gefühl war für mich die Ohnmacht. 

Natürlich ist es schwer, ins Handeln zu kommen, weil dabei so große Mächte mitspielen und man selbst sich fragt: Was soll ich tun – erst recht, wenn ich ganz woanders lebe?

​​​​​​Wie bist du dann aktiv geworden? In einem Projekt oder privat?

Ich habe mich dann an einem Stiftungsprojekt mitgearbeitet, die eine App für mentale Gesundheit ins Ukrainische übersetzte und sprach die Entspannungsübungen für die App neu ein. Und ich war in einer WhatsApp-Gruppe in einem Krisenchat aktiv, in der wir Geflüchteten mit Informationen halfen – etwa, wenn sie in Rumänien gestrandet waren und nicht wussten, wie es weitergehen sollte. 

Beim pme Familienservice gibt es jedes Jahr eine wunderbare Spendenaktion. Ich konnte meine Kolleg:innen bereits zweimal von ukrainischen Projekten überzeugen und Spenden dafür gewinnen – so konnten wir gemeinsam etwas Gutes für die vom Krieg betroffenen ukrainischen Mütter und Kinder bewirken.

Es muss auch nicht ein spezielles Projekt sein. Ich telefoniere zum Beispiel oft mit meiner Oma, die in ihrem Schaukelstuhl sitzt und Angst hat, wenn sie die Sirenen hört. Das Gespräch mit mir lenkt sie für eine Weile ab und das ist schon eine Hilfe. Das sind keine leichten Gespräche, aber sie tun ihr und mir dennoch gut.

Wie bist du in deinem Alltag zurechtgekommen, wenn du weißt, deine Familie und Freunde sind bedroht? Das stelle ich mir sehr schwer vor.

Ich habe versucht, weiter zu funktionieren. Ich bin zur Arbeit und einkaufen gegangen, habe versucht mit meinen Mitmenschen über ganz normale Dinge zu sprechen. Aber das fühlte sich wie eine Lüge an. Denn danach ging ich nach Hause und habe ununterbrochen Nachrichten geschaut und war in Kontakt mit meiner Familie.

Es hat sich so ergeben, dass niemand aus meiner Familie hierherkommen kann. Sie sind alle dort festgehalten, und ich bin eben hier. Irgendwie ist der Mensch zerrissen zwischen zwei Welten. Und man selbst hat gar keinen Platz mehr: die eigenen Ideen, Wünsche und Bedürfnisse. 

Hast du deinen Platz zum Energie auftanken finden können?



Ja, aber das hat etwas gedauert. Mein Mann kam eines Tages auf die Idee, mich in die Therme zu schicken, weil ich unter Daueranspannung war. Mir ist die Kinnlade runtergefallen. Das war so undenkbar für mich. Meine Familie leidet und ich gehe schwimmen? Erst viel später habe ich verstanden, dass es niemanden schadet oder ein Verrat an meinen Landsleuten ist, ob ich nun schwimmen gehe oder nicht. Und ich habe gemerkt, dass mir das Kraft gibt, meine Familie öfter anzurufen. Aber das brauchte einfach Zeit. 

Die Themen und Sorgen deiner Mitmenschen müssen dir dagegen sehr banal vorkommen. Wie bist du mit Gesprächen am Mittagstisch über normale Alltagsdinge umgegangen? 

Als Psychologin habe ich auch gelernt: Man darf die Sorgen für eine Stunde beiseiteschieben. Es ist in Ordnung, sich ein bisschen Normalität zu erlauben, zu lachen, etwas Leichtes zu besprechen und einfach eine Stunde ohne Sorgen zu haben. Wenn man das in dem Moment kann, sollte man es sich auch gestatten.

Wichtig ist auch, dass die eigenen Krisen nicht mit den Sorgen seiner Mitmenschen zu vergleichen. Wenn meine Freundin enttäuscht ist, weil ein Konzert ausgefallen ist, dann ist das ein legitimes Gefühl. Genauso wenig sollte man Realitäten vergleichen. 

Es ist wichtig auf sein Bauchgefühl zu hören. An manchen Tagen fühlte ich mich eher einsam und abgeschnitten von meinen Mitmenschen. Dann half es, die Mittagspause allein zu verbringen, spazieren zu gehen oder nur mit einer vertrauten Person zusammen sein, ohne viel zu reden.

Ich glaube, das Wichtigste ist, beide Realitäten miteinander verbinden zu können: Zum einen Raum für Trauer, Sorgen und auch zum Weinen zu haben, und zum anderen trotzdem weiterzuleben und am Leben teilzunehmen, das man sich aufgebaut hat – die Beziehungen zu pflegen, die einem wichtig sind, und die" normalen" Dinge weiterzumachen.


 

Habt ihr am Arbeitsplatz über den Krieg in der Ukraine gesprochen?

Ich wurde von meinen Teammitgliedern regelmäßig gefragt, wie es mir geht, ob meine Familie in Sicherheit ist, ob ich reden möchte. Es war weniger nötig, ständig darüber zu sprechen, sondern eher tröstlich zu wissen: Es ist nicht egal. Die Menschen sehen, was passiert, und haben Mitgefühl – mit mir, meinem Land und meiner Familie.

Ich finde es sehr wichtig, dass solche Themen am Arbeitsplatz Raum haben und es Unterstützung gibt. Ich hätte auch ein Lebenslagencoaching in Anspruch nehmen können.

Als Freund:in oder Teammitglied eines Angehörigen unterstütze ich also vor allem, wenn ich Raum für ein Gespräch anbiete?

„Wie geht es dir? Wie deiner Familie? Möchtest du reden?“ Es hilft, wenn das Leid gesehen wird und es irgendwo Platz bekommt. Oder ein echtes Interesse an der Geschichte: „Wie ist das entstanden? Warum ist das so? Was stimmt von dem, was man in den Nachrichten hört?“ Diese Gespräche haben mir persönlich sehr geholfen.

Ich erlebe auch in meinen Beratungen, dass viele der Betroffenen ein starkes Bedürfnis haben, darüber zu sprechen – auch wenn sie wissen, dass ich im Coaching keine Lösungen anbieten kann. Schon das Angebot, zuzuhören, kann sehr viel bewirken. Dafür gibt es sogar einen schönen Begriff: Containment – das bedeutet, Emotionen aufzunehmen und für jemanden zu halten. Und genau das ist oft das Wertvollste, was man tun kann.

Hast du noch weitere Hilfsangebote, die du Menschen in derselben oder in einer ähnlichen Situation mitgeben kannst? 

1. Ich würde sagen, das Wichtigste ist in der Momentaufnahme Aufnahme zu bleiben.

Bewusst im Hier und Jetzt sein. Heute ist meine Familie heil, sie haben genug zu essen, wir halten Kontakt. Daran halte ich mich fest. Es hilft nicht, sich alle möglichen Katastrophenszenarien auszumalen, die vielleicht in der Zukunft eintreten könnten. Das bringt niemandem etwas. Stattdessen versuche ich, mich immer wieder ins Jetzt zurückzuholen.



2. Genauso wichtig ist es, eine Struktur zu bewahren.

Es kann Phasen geben, in denen man sich völlig überfordert fühlt und am liebsten gar nicht arbeiten möchte. Aber wenn man sich krankmeldet und in einem Tag voller Sorgen steckenbleibt, wird es oft noch schwerer. Eine feste Tagesstruktur kann Halt und Sicherheit geben – sie ist etwas, woran man sich festhalten kann.



3. Sich selbst Unterstützung holen und jemanden zum Reden, wenn man das braucht.

Und immer mit dem Bewusstsein, dass man niemandem helfen kann, wenn man selbst in Not ist. Ich kann nicht für meine Familie da sein, ihre Sorgen auffangen und selbst völlig allein bleiben. Ich brauche ebenfalls einen Menschen, der mich hält.



4. Auch wenn es schwer ist: ein wenig aktiv zu bleiben und nicht komplett in die Passivität zu fallen.

Das darf auch etwas Kleines sein. Ein sehr wertvoller Tipp ist, Menschen zu helfen, denen es schlechter geht als einem selbst. Zum Beispiel organisiert eine Freundin von mir in der Ukraine, die mit ihrem Baby in der Hauptstadt fast jede Nacht Bombardierungen erleben muss, schöne Nikolausgeschenke für die kleinen Kinder in einem Kinderheim und erfährt dabei viel Sinn und Freude.

5. Eine weitere Idee ist, sich Inspiration zu holen.

Es gibt viele beeindruckende Menschen, die trotz oder gerade wegen der Nähe zur Front ihr Geschäft am Laufen halten oder tolle Hilfsprojekte organisieren. Von diesen starken und inspirierenden Persönlichkeiten kann man sich einiges abschauen und dabei auch neue Energie schöpfen.

null Poststress-Syndrom: Krank sobald der Urlaub kommt

Ein junger Mann sitzt am Pool mit einer Decke umschlungen und putzt sich die Nase
Psyche

Poststress-Syndrom: Krank sobald der Urlaub kommt

​​​​​​Die Sommerferien stehen vor der Tür und dann das: Migräne, Infekte, Magenprobleme. Kaum ist der Koffer gepackt, liegt man auch schon flach und der Urlaub ist gelaufen, bevor er begonnen hat. Bei gestressten Menschen schlägt das Poststress-Syndrom – auch Leisure-Sickness-Syndrom genannt – immer dann zu, wenn sie in den Erholungsmodus schalten.

Auf einen Blick: 

Das Poststress-Syndrom tritt häufig auf, wenn stressbelastete Menschen in den Urlaub gehen und plötzlich krank werden. Forscher der Universität Trier haben herausgefunden, dass insbesondere Personen mit hohen Stressleveln betroffen sind, was sich in Symptomen wie Migräne, Infekten oder Magenproblemen äußert. Der Mangel an Noradrenalin während der Erholung ist eine mögliche Ursache.

Laut einer aktuelle Studie der IU Hochschule kann es direkt mit Stress im Arbeitsalltag zusammenhängen.

Strategien zur Bewältigung sind ein gutes Stressmanagement und regelmäßige Bewegung vor dem Urlaub. Ein Test namens "Neuropattern" kann helfen, das individuelle Risiko zu ermitteln und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

 

Während andere gut erholt und braungebrannt von ihren Urlaubsabenteuern erzählen, haben Sie die meiste Zeit das Bett gehütet? "Warum passiert das immer wieder mir?", fragen Sie sich. Tatsächlich trifft es meist dieselben Menschen, die regelmäßig krank werden, wenn der Urlaub vor der Tür steht.

Das hat eine Forschergruppe von der Universität in Trier herausgefunden. Sie befragten rund 1.500 gesunde Probanden und Patienten mit akuten körperlichen oder psychischen Erkrankungen. Das Ergebnis: Gesunde Menschen mit wenigen Stressbelastungen leiden nur sehr selten unter Poststress-Symptomen (2,3 Prozent). Bei den psychisch erkrankten Probanden traten die Symptome bei 20 bis 35 Prozent auf.

Leisure Sickness: Hoher Arbeitsdruck belastet viele

Das Phänomen „Leisure Sickness“ bzw. das Post-Stress-Syndrom ist keine anerkannte Krankheit, aber mehr als nur Einbildung. Laut Prof. Dr. Stefanie André, Expertin für Gesundheitsmanagement an der IU Internationalen Hochschule, kann es direkt mit Stress im Arbeitsalltag zusammenhängen.

In der repräsentativen Studie „Leisure Sickness: Erschöpft statt erholt“ (2025) berichten 1,9 Prozent der Arbeitnehmer:innen von sogenannter Leisure Sickness – also körperlichen Beschwerden wie Erschöpfung oder Krankheitssymptomen, die ausgerechnet an freien Tagen oder im Urlaub auftreten.

Die Ergebnisse der IU-Studie zeigen deutlich, was viele Beschäftigte belastet:

  • Hoher Arbeitsdrucck (33,7 %)
  • Fehlende Unterstützung durch Vorgesetzte und Kolleg:innen (30,0 %)
  • Unklare Aufgabenverteilungen (23,4 %)
  • Unausgewogene Work-Life-Balance (20,8 %)
  • Unpräzise Aufgabenstellungen (20,8 %)

Hinzu kommen lange Arbeitszeiten (17,3 %), die das Risiko erhöhen, dass der Körper genau dann rebelliert, wenn eigentlich Erholung angesagt wäre – zum Beispiel am Wochenende oder im Urlaub.

Gestresste Menschen werden viermal so oft krank

Zu den häufigsten Beschwerden zählen Müdigkeit bzw. Erschöpfung, Schlafprobleme, Reizbarkeit, Kopfschmerzen und Erkältungssymptome.

Die Probanden, die Urlaub und Erholung am dringendsten brauchten, hätten am häufigsten unter den Poststress-Symptomen zu leiden, sagen die Trierer Wissenschaftler:innen. Das Risiko, im Urlaub krank zu werden, seit für Menschen mit viel Stress viermal so hoch wie für nicht gestresste Personen.

Warum immer dann krank, wenn der Urlaub kommt?

Die Wissenschaftler:innen untersuchten auch, warum diese Symptome gerade in den Erholungsphasen zum Ausbruch kommen.

Professor Dirk Hellhammer von der Universität Trier erklärt:

"Stressbelastung mobilisiert besonders stark den Botenstoff Noradrenalin in unserem zentralen und autonomen Nervensystem. Sind die Anforderungen besonders intensiv und dauerhaft, dann übersteigt der Verbrauch an Noradrenalin die Neusynthese. In Ruhephasen wird dann zu wenig Noradrenalin freigesetzt, und es kommt zu einer Balancestörung von Funktionen im Nerven- und Immunsystem, welche Poststress-Symptome hervorrufen."

Wege aus dem Post-Stress-Syndrom

95,5 Prozent der Befragten sagen, dass Freizeit eine sinnvolle Auszeit vom Jobstress ist (IU-Studie). Nur gaben 4 von 10 Arbeitnehmer:innen in Deutschland an, dass sie die nötige Erholung in ihrer Freizeit nicht finden können. 

Hier sind auch die Arbeitgeber gefragt: 63,6 Prozent der Befragten wünschen sich laut IU-Studie mehr Unterstützung von ihrem Unternehmen – etwa durch Gesundheitsangebote oder flexible Pausenregelungen.

Helfen kann auch ein durchdachtes Stress- und Pausenmanagement.

Entspannungsübungen unterstützen dabei ebenso wie Vermeidung von Stressfaktoren und ein gutes Zeitmanagement.

Kleine Bewegungseinheiten vor dem Urlaub einplanen

Der beste Stresskiller ist allerdings immer noch Bewegung. Erst im Urlaub mit der Entspannung zu beginnen, ist allerdings zu spät. Am besten ist es, schon Wochen davor kleine Bewegungseinheiten in den Alltag einzubauen und zum Beispiel in der Mittagspause um den Block zu laufen. Dreimal pro Woche 30 Minuten Bewegung sollen unseren Stress merklich mindern.

Test: Bin ich vom Poststress-Syndrom betroffen?

Wer genau wissen möchte, ob er an den Poststress-Symptomen leidet, kann dies mit einem Diagnostikverfahren ("Neuropattern") der Trierer Wissenschaftler zuverlässig messen lassen. Sind derartige Symptome und Beschwerden nachweisbar, kann eine Kombination von Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln mit einem Stress- und Pausenmanagement hilfreich sein.
 

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