zu sehen ist der Begriff Neurodiversität umrankt von Blumen
Führung & HR

Welches Arbeitsumfeld fördert neurodivergente Menschen?

In einer Arbeitswelt, die oft auf ein „Standard-Betriebssystem“ ausgelegt ist, gehen die Talente von Menschen mit Autismus, Hochsensibilität, ADHS oder Legasthenie leicht unter. Doch Arbeitsplätze und Bewerbungsverfahren können ohne hohe Aufwände so gestaltet werden, dass unterschiedliche Denkweisen nicht nur toleriert, sondern gezielt gefördert werden. Kleine Veränderungen entfalten für neurodivergente Mitarbeiter:innen oft eine große Wirkung und stellen einen Gewinn für das gesamte Unternehmen dar.

Auf einen Blick

Der Artikel zeigt, wie Unternehmen durch gezielte Anpassungen im Arbeitsumfeld die Stärken neurodivergenter Mitarbeitender:innen – etwa mit ADHS, Autismus oder Hochsensibilität – fördern und für Innovation, Produktivität und ein besseres Miteinander sorgen können. Praxisnahe Tipps, Expertenzitate und Beispiele aus der Wirtschaft machen deutlich: Neurodiversität ist ein Gewinn für jedes Team.  

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Jeder von uns hat Tage, an denen das laute Büro die Konzentration raubt oder eine vage Anweisung für Verwirrung sorgt. Für neurodivergente Menschen jedoch ist das kein gelegentliches Ärgernis, sondern stellt tagtäglich eine große Hürde dar. Denn Menschen im Autismus-Spektrum, mit ADHS oder Legasthenie verarbeiten Informationen anders – nicht besser oder schlechter sondern einfach anders. 

„Neurodivergente Menschen nehmen Informationen auf ganz eigene Weise wahr und verarbeiten sie unterschiedlich – das ist eine natürliche Vielfalt, die wir im Arbeitsalltag berücksichtigen sollten“, Carline Krügl, systemische Beraterin beim pme Familienservice. Sie beschäftigt sich seit ihrem Studium intensiv mit ADHS/ADS und dem neurodivergenten Spektrum und begleitet Unternehmen sowie Betroffene im Arbeitsleben.

„Während meiner beruflichen Laufbahn wurde ich immer mehr dafür sensibilisiert, was Neurodivergenz alles sein kann – nämlich unter anderem Menschen mit einer Hochbegabung, Hochsensibilität, Autismus, ADHS, Legasthenie oder anderen neurologischen Besonderheiten“, ergänzt Carline Krügl.  

Doch unsere Arbeitswelt ist meist unbewusst für neurotypische Gehirne gestaltet. Die einzigartigen Stärken neurodivergenter Talente wie tiefgehende Konzentration, außergewöhnliche Kreativität oder eine beeindruckende Mustererkennung bleiben damit häufig ungenutzt. Warum ist das so? Und wie können wir eine eine Arbeitskultur schaffen, in der jeder Mensch sein volles Potenzial entfalten kann und das gesamte Team davon profitiert? 

"Während die Schätzungen je nach Art der Neurodiversität, Altersgruppen, Regionen und geografischen Gebieten variieren, gelten etwa 10 % bis 20 % der Weltbevölkerung als neurodivergent.“ Deloitte Insights, A rising tide lifts all boats: Creating a better work environment for all by embracing neurodiversity

1. Was bedeutet Neurodiversität und Neurodivergenz? 

Zunächst eine Begriffsklärung: Neurodiversität und Neurodivergenz. Die Begriffe klingen ähnlich und werden oft synonym verwendet, doch sie stehen für zwei grundlegend verschiedene Ideen: Neurodiversität ist das Konzept, das die gesamte, natürliche Vielfalt menschlicher Gehirne in unserer Gesellschaft beschreibt – eine Vielfalt, genauso wertvoll wie die eines reichen Ökosystems. 

Geprägt wurde dieser Gedanke Ende der 1990er Jahre von der Soziologin Judy Singer, die damit neurologische Unterschiede wie Autismus oder ADHS aus der „Krankheits-Ecke“ holen und als natürliche Variation des Menschseins etablieren wollte. 

Doch wie nennt man eine Person, deren Gehirn von der gesellschaftlichen Norm – also vom neurotypischen “Standard” –abweicht? Hier kommt der Begriff Neurodivergenz ins Spiel. Er wurde von der Aktivistin Kassiane Asasumasu, selbst Autistin und Person of Color, geschaffen. Aus ihrer Perspektive war es entscheidend, ein Wort für jene zu haben, deren Erfahrungen oft übersehen werden. Der Begriff neurodivergent soll es diesen Menschen ermöglichen darüber zu sprechen, welche individuellen Erfahrungen sie aufgrund ihrer besonderen Wahrnehmung machen. 

Ein Mensch ist also neurodivergent (z. B. autistisch oder mit ADHS), während die gesamte Menschheit in ihrer Gesamtheit neurodivers ist. Im Kern ging es beiden Frauen darum, klarzustellen: Neurologische Abweichungen von der “Norm” sind kein Defizit, sondern eine andere Art der Wahrnehmung und der Verarbeitung. 

"Gerade im Arbeitskontext können neurodivergente Menschen sehr große Stärken entfalten, wenn Rücksicht auf besondere Bedürfnisse genommen wird. Neurodiversität erkennt diese Unterschiede als wertvoll an und betont die Notwendigkeit von Inklusion und Verständnis im Alltag – besonders im Berufsleben." Johannes Junker, INQUA Neurodiversität im Job: ein Leitfaden 

"„Viele Führungskräfte aus der Wirtschaft haben offen darüber gesprochen, neurodivergent zu sein, aber in diesem Bereich ist noch mehr Engagement nötig. John Chambers, der ehemalige CEO von Cisco, sagt: ‚25 % der CEOs sind Legastheniker, aber viele wollen nicht darüber sprechen.‘ Wenn sich Führungskräfte als neurodivergent zu erkennen geben, würde sich auch der Rest der Belegschaft wohlfühlen, ebenfalls hervorzutreten.“ 
​​​​​​​Deloitte Insights, A rising tide lifts all boats: Creating a better work environment for all by embracing neurodiversity

2. Ein Überblick: Welche Formen von Neurodivergenz gibt es?

Neurodivergenz ist ein breiter Begriff, der eine Vielzahl von neurologischen Profilen umfasst. Hier sind einige der bekanntesten Spektren: 


Wichtig ist: Diese Liste ist nicht vollständig, und viele neurodivergente Menschen haben Merkmale aus mehreren dieser Spektren. Neurodivergenz selbst ist ein Spektrum, und keine zwei Personen machen die exakt gleichen Erfahrungen. 

3. Die „Superkräfte“: Welche Stärken bringen neurodivergente Menschen mit? 

Anstatt sich zu fragen, welche Defizite es auszugleichen gilt, dürfen Unternehmen sich eine viel spannendere Frage stellen: Welche einzigartigen Fähigkeiten und Perspektiven bringen neurodivergente Mitarbeitende in ein Team ein? Denn wenn die Arbeitsbedingungen angepasst werden, kann sich Neurodivergenz oft als „Superkraft“ entpuppen, die einen enormen Mehrwert darstellen. 

Die Stärken im Autismus-Spektrum: Präzision und Tiefe

Menschen im Autismus-Spektrum zeichnen sich oft durch eine intensive und detailorientierte Denkweise aus. Das macht sie zu unschätzbaren Talenten in vielen Bereichen: 

Hohe Konzentrationsfähigkeit (Deep Work): Wo andere durch ständige Unterbrechungen aus dem Konzept gebracht werden, können viele autistische Menschen für Stunden tief in eine komplexe Aufgabe eintauchen. Diese Fähigkeit zur „Deep Work“ ist in der heutigen Arbeitswelt Gold wert, insbesondere in den Bereichen IT, Datenanalyse oder Forschung. 

Außergewöhnliche Mustererkennung: Autistische Menschen haben oft ein Talent dafür, Muster, Zusammenhänge und Fehler zu erkennen, die anderen verborgen bleiben. Das macht sie zu exzellenten Mitarbeitenden in der Qualitätssicherung, beim Debugging von Software oder bei der Analyse komplexer Datensätze. 

Detailgenauigkeit und Ehrlichkeit: Eine hohe Gewissenhaftigkeit und ein starkes Gerechtigkeitsempfinden führen oft zu extrem präziser Arbeit und einer direkten, ehrlichen Kommunikation. Auf ihre Ergebnisse ist Verlass, und ihr Feedback ist klar, transparent und frei von Büropolitik. 

Die Superkräfte von ADHS: Kreativität und Krisenfestigkeit 

Das Gehirn von Menschen mit ADHS ist oft auf der Suche nach neuen Reizen und denkt in schnellen, non-linearen Sprüngen. Was im Schulsystem immer noch oft als „Störfaktor“ gilt (hier muss auch Schule vielerorts lernen umzudenken und Stärken stärken, statt Schwächen fokussieren), wird im beruflichen Umfeld zur treibenden Kraft für Innovation: 

Enorme Kreativität und Ideenreichtum: Menschen mit ADHS sind oft Meister darin, unkonventionelle Verbindungen zwischen Ideen herzustellen. Das macht sie zu geborenen Innovatoren in Brainstorming-Sessions, im Marketing oder in der Produktentwicklung. 

Fähigkeit zum Hyperfokus: Auch wenn die Konzentration bei Routineaufgaben extrem schwerfallen kann: Wenn ein Thema ihr Interesse weckt, können Menschen mit ADHS in einen Zustand extremer Konzentration, den „Hyperfokus“, eintauchen. In dieser Phase arbeiten sie sich in sehr kurzer Zeit tief in Themen ein und erbringen herausragende Leistungen. 

Improvisationstalent und Stärke in Krisen: Wenn Pläne scheitern und Chaos ausbricht, laufen viele Menschen mit ADHS zur Höchstform auf. Ihre Fähigkeit, schnell zu denken und sich auf neue Situationen einzustellen, macht sie zu unschätzbaren Krisenmanagerinnen und Problemlöser:innen. 

Die Talente von Legasthenie & Co.: Ganzheitliches Denken und Empathie 

Menschen mit Legasthenie oder Dyskalkulie haben oft Schwierigkeiten mit der linearen Verarbeitung von Symbolen wie Buchstaben oder Zahlen. Um dies zu kompensieren, entwickelt ihr Gehirn oft bemerkenswerte alternative Fähigkeiten: 

Stärken im dreidimensionalen und konzeptionellen Denken: Viele Menschen mit Legasthenie sind außergewöhnlich gut darin, sich komplexe Systeme räumlich vorzustellen. Das macht sie zu Talenten in Bereichen wie Architektur, Ingenieurwesen, Design oder Chirurgie. 

Ganzheitliche Problemlösung („Big Picture Thinking“): Anstatt sich in Details zu verlieren, erfassen sie oft das große Ganze und erkennen übergreifende Zusammenhänge. Sie sind die idealen Strategen, die das Ziel im Auge behalten, während andere noch die einzelnen Schritte analysieren. 

Hohe Empathie und narrative Fähigkeiten: Da sie sich nicht allein auf das geschriebene Wort verlassen können, entwickeln viele eine feine Antenne für nonverbale Signale und die Stimmungen anderer. Sie sind oft exzellente Geschichtenerzähler und können komplexe Sachverhalte verständlich und mitreißend vermitteln. 

Die Stärken von Hochsensibilität: Empathie und Weitblick 

Hochsensible Personen (HSP) nehmen Sinnesreize und Stimmungen intensiver wahr und verarbeiten sie tiefer. Diese Sensitivität ist im Arbeitsleben eine besondere Stärke: 

Hohe Empathie und soziales Gespür: Hochsensible sind oft das soziale Gewissen eines Teams. Sie spüren Spannungen frühzeitig, verstehen die Bedürfnisse ihrer Kolleg:innen und fördern ein harmonisches Miteinander. Ihre emotionale Intelligenz ist in Führungspositionen und im Kundenservice von unschätzbarem Wert. 

Gespür für Details und Nuancen: Ihnen entgeht nichts: Sie bemerken kleinste Veränderungen, potenzielle Fehlerquellen oder subtile Chancen, lange bevor andere sie wahrnehmen. Das macht sie zu exzellenten Analystinnen, Beratern und Qualitätsmanagerinnen. 

Gewissenhaftigkeit und durchdachtes Handeln: Durch ihre tiefe Informationsverarbeitung treffen sie oft besonders wohlüberlegte und nachhaltige Entscheidungen. Ihre Arbeit ist von hoher Qualität und Verantwortung geprägt. 

"Neurodiverse Mitarbeitende bringen einzigartige Fähigkeiten und Perspektiven in ihre Tätigkeit ein, die in verschiedenen Branchen von unschätzbarem Wert sind. (…) Darüber hinaus zeigen viele neurodiverse Personen eine hohe Anpassungsfähigkeit und soziale Intelligenz, was sie zu wertvollen Teammitgliedern in dynamischen Arbeitsumgebungen und Berufen mit intensiven zwischenmenschlichen Interaktionen macht.” Johannes Junker, INQUA Neurodiversität im Job: ein Leitfaden ​​​​​​​

 

 

 

Tech-Konzerne haben das Potenzial neurodivergenter Mitarbeiter:innen erkannt 

Einige große Unternehmen haben in den letzten Jahren gezielt Programme entwickelt, um neurodivergente Menschen zu fördern und ihre Potenziale im Arbeitsleben sichtbar zu machen. So hat beispielsweise SAP das Programm „Autism at Work“ ins Leben gerufen. Ziel ist es, Menschen im Autismus-Spektrum gezielt einzustellen, zu begleiten und ihre besonderen Stärken für das Unternehmen zu nutzen. SAP berichtet, dass diese Mitarbeitenden oft überdurchschnittliche Fähigkeiten in Bereichen wie Mustererkennung, Detailgenauigkeit und analytischem Denken mitbringen. 
Auch Microsoft setzt mit dem „Neurodiversity Hiring Program“ ein Zeichen für Inklusion. Das Unternehmen hat den Bewerbungsprozess angepasst, um Vorurteile abzubauen und die individuellen Bedürfnisse neurodivergenter Bewerbender besser zu berücksichtigen. Dazu gehören etwa mehrtägige Assessment Center, strukturierte Interviews und die Möglichkeit, Unterstützungspersonen mitzubringen.

Ziel ist es, Talente zu entdecken, die im klassischen Einstellungsverfahren häufig übersehen werden. Weitere Beispiele sind Ernst & Young (EY) mit dem „Neurodiversity Centers of Excellence“, das gezielt neurodivergente Talente rekrutiert und fördert. IBM  und Dell Technologies  haben ebenfalls spezielle Initiativen gestartet, um neurodivergente Mitarbeitende zu gewinnen, zu unterstützen und langfristig zu binden. 

4. Typische Hürden: Warum der Standard-Arbeitsplatz oft nicht passt 

Um die Potenziale neurodivergenter Mitarbeiter:innen freizusetzen, müssen Unternehmen verstehen, warum sie so oft verborgen bleiben. Die Antwort liegt in einer Arbeitswelt, die – meist unbewusst – voller Hürden für neurodivergente Menschen ist. Was für neurotypische Personen eine alltägliche Arbeitsumgebung ist, kann für andere ein Hindernislauf sein, der permanent Energie kostet. Indem diese unsichtbaren Barrieren erkannt werden, können sie abgebaut und somit ein neuro-inklusives Umfeld für alle geschaffen werden

„Neurodivergente Mitarbeitende nehmen oft eine Vielzahl von Sinneseindrücken gleichzeitig wahr, was sie leichter überfordern kann – etwa durch Lärm oder grelles Licht. Deshalb ist es wichtig, Arbeitsumgebungen so zu gestalten, dass sie individuell angepasst sind“, sagt  Carline Krügl; systemische Beraterin und AD(H)S Expertin pme Familienservice. 

1. Sensorische Reizüberflutung: Wenn das Büro zur Belastung wird 

Für viele neurodivergente Menschen funktioniert der eingebaute „Reizfilter“ anders. Geräusche, Lichter, Gerüche oder ständige Bewegung werden viel intensiver wahrgenommen. Das laute Großraumbüro, das Flackern der Neonröhre oder das ständige Klingeln des Telefons am Nachbartisch können zu einer massiven Überlastung führen, die Konzentration unmöglich macht und extrem erschöpft. 

Tipps für die Praxis:

Kopfhörer erlauben und fördern: Noise-Cancelling-Kopfhörer sind oft das einfachste und effektivste Mittel, um akustische Reize zu reduzieren.

Ruhige Zonen schaffen: Bieten Sie Rückzugsorte oder buchbare „Deep-Work-Räume“ an, in denen konzentriertes Arbeiten ohne Störungen möglich ist. 

Arbeitsplatz anpassen: Fragen Sie nach den individuellen Bedürfnissen. Manchmal hilft schon ein Platz am Fenster (für natürliches Licht) oder in einer ruhigeren Ecke des Büros. Die Möglichkeit zum Homeoffice ist oft die beste Lösung.

2. Kommunikation: Zwischen den Zeilen lesen müssen 

Neurotypische Kommunikation ist oft voll von Ironie, Andeutungen und ungeschriebenen sozialen Regeln. Für viele neurodivergente Menschen, insbesondere im Autismus-Spektrum, ist eine wörtliche und direkte Kommunikation wesentlich einfacher zu verarbeiten. Unklare Anweisungen, Sarkasmus oder der Zwang zum Small Talk können zu Missverständnissen, Stress und sozialer Erschöpfung führen. 

Tipps für die Praxis:

Seien Sie klar und direkt: Formulieren SIe Anweisungen und Feedback eindeutig und unmissverständlich. Statt „Kannst du da mal drüberschauen?“ sagen Sie lieber: „Bitte prüfe dieses Dokument bis 15 Uhr auf Rechtschreibfehler.“ 

Wichtiges schriftlich festhalten: Eine kurze E-Mail oder Chat-Nachricht nach einem Gespräch stellt sicher, dass alle Informationen korrekt angekommen sind. 

Meetings strukturieren: Eine klare Agenda und ein definiertes Ziel helfen allen Beteiligten, dem Gespräch zu folgen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. 

"Ein wertschätzender Umgang beginnt damit, jede Person als einzigartiges Individuum wahrzunehmen. Klischees und Vorurteile begegnen uns leider noch oft, doch echtes Verständnis entsteht durch Offenheit und Austausch.“ Carline Krügl, systemische Beraterin und AD(H)S Expertin pme Familienservice

3. Struktur und Prozesse: Das Chaos der ständigen Unterbrechung 

Während manche Menschen gut mit Spontaneität zurechtkommen, benötigen viele neurodivergente Mitarbeitende klare Strukturen und Routinen, um produktiv zu sein. Ständige Unterbrechungen, kurzfristig geänderte Prioritäten und unklare Erwartungen können zu erheblichem Stress führen und die Fähigkeit zur tiefen Konzentration (den „Hyperfokus“) zunichtemachen.

Tipps für die Praxis: 

Erwartungen transparent machen: Definieren Sie klar, was bis wann erledigt werden soll und welche Priorität eine Aufgabe hat. 

Fokuszeiten respektieren: Etablieren Sie im Team eine Kultur, in der konzentrierte Arbeitsphasen (z. B. durch einen blockierten Kalender oder einen Status im Chat) respektiert werden. 

Vorhersehbarkeit schaffen: Nutzen Sie gemeinsame Projektmanagement-Tools, um Aufgaben und Deadlines sichtbar zu machen und Routinen zu etablieren.

"„Oftmals tun sich Menschen mit ADHS schwer mit Strukturierung und Terminierung. Sie tragen ihr Herz auf der Zunge, was Vor- und Nachteile haben kann, besonders für sie selbst. Geregelte Arbeitszeiten können eine Herausforderung sein. Besonders in den Abendstunden, wenn viele in den Feierabend gehen, kann eine Person mit ADS/ADHS wahre Superkräfte entwickeln und sich besonders gut konzentrieren.“ Carline Krügl, systemische Beraterin und AD(H)S Expertin pme Familienservice

4. Recruiting: Wenn das Bewerbungsgespräch zur größten Hürde wird 

Das klassische Bewerbungsgespräch ist oft mehr ein Test der sozialen Performance als der fachlichen Eignung. Die Erwartung, permanenten Augenkontakt zu halten, sich selbstbewusst zu verkaufen und soziale Signale perfekt zu deuten, stellt für viele neurodivergente Kandidat:innen eine massive Hürde dar. So fallen brillante Fachkräfte durchs Raster, weil das Format ihre eigentlichen Fähigkeiten nicht abbilden kann. 

Tipps für die Praxis: 

Fragen vorab zusenden: Geben Sie den Kandidat:innen die Möglichkeit, sich inhaltlich vorzubereiten. Das reduziert die soziale Angst und führt zu durchdachten Antworten. 

Probearbeiten statt nur reden: Lassen Sie die Bewerber:innen eine kleine, realistische Aufgabe lösen. So zeigen sie ihre fachlichen Fähigkeiten direkt in der Praxis. 

Strukturierte Interviews führen: Stellen Sie allen Kandidat:innen die gleichen, kompetenzbasierten Fragen. Das macht den Prozess fairer und objektiver. 

"Wichtig ist, dass neurodivergente Mitarbeitende ihre eigenen Bedürfnisse kennen und diese auch klar kommunizieren können. So lassen sich individuelle Lösungen finden, die den Arbeitsalltag erleichtern und Potenziale entfalten.“ Carline Krügl, systemische Beraterin und AD(H)S Expertin pme Familienservice

4.    Mentoring und Unterstützung anbieten 

Etablieren Sie Mentoring-Programme und ermöglichen Sie externe Beratung. 
Diese Angebote stärken das Vertrauen und eröffnen neue Entwicklungsmöglichkeiten für alle Mitarbeitenden. 
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„Auf jeden Fall sollten die Mitarbeitenden und ebenso die Führungskräfte geschult werden. Verständnis auf beiden Seiten sollte gefördert werden. Auch neurodivergente Menschen haben manchmal kein Verständnis für die Sichtweise neurotypischer Personen. Ein Umfeld, das Vielfalt nicht nur toleriert, sondern aktiv fördert, hilft Isolation zu vermeiden und ein Zugehörigkeitsgefühl zu schaffen. Neurodivergente Menschen sollen nicht angepasst, sondern mit ihren einzigartigen Stärken wertgeschätzt werden“, erklärt Expertin Carline Krügl. 
 

Fazit: Ein Gewinn für alle

Neurodiversität ist weit mehr als ein Schlagwort – sie kann ein echter Mehrwert für jedes Unternehmen sein. „Es ist wichtig, die Stärken neurodivergenter Menschen anzuerkennen, ohne dabei ihre Herausforderungen zu übersehen. Der Weg zu mehr Akzeptanz ist häufig lang und erfordert echtes Engagement“, ergänzt Carline Krügl. „Wenn Führungskräfte und Teams die unterschiedlichen Stärken und Bedürfnisse neurodivergenter Mitarbeitender erkennen und gezielt fördern, profitieren alle: Die Arbeitsatmosphäre wird offener, die Kommunikation klarer und die Zusammenarbeit vielfältiger.”

Innovationen entstehen dort, wo verschiedene Denkweisen und Perspektiven aufeinandertreffen. Maßnahmen, die neurodivergenten Menschen das Arbeitsleben erleichtern – wie flexible Arbeitszeiten, strukturierte Abläufe und eine klare, wertschätzende Kommunikation – kommen letztlich dem gesamten Team zugute.

Sie schaffen ein Umfeld, in dem jeder Mensch sein Potenzial entfalten kann. 
Ein inklusives, neurofreundliches Arbeitsumfeld ist also kein Sonderfall, sondern eine Chance für mehr Kreativität, Produktivität und Zufriedenheit. 

FAQ: Neurodiversität und Arbeitswelt

Was bedeutet Neurodiversität im Unternehmen?

Neurodiversität beschreibt die natürliche Vielfalt neurologischer Eigenschaften und Denkweisen. Im Unternehmen bedeutet es, die unterschiedlichen Stärken und Bedürfnisse von Mitarbeitenden mit ADHS, Autismus, Hochsensibilität oder anderen Besonderheiten zu erkennen und gezielt zu fördern.

Wie profitieren Unternehmen von neurodivergenten Mitarbeitenden?

Neurodivergente Mitarbeitende bringen besondere Fähigkeiten wie Kreativität, Mustererkennung, Empathie und Krisenfestigkeit ins Team. Durch ein inklusives Arbeitsumfeld entstehen mehr Innovationen und eine höhere Zufriedenheit.

Welche Herausforderungen haben neurodivergente Menschen im Job?

Typische Hürden sind Reizüberflutung, unklare Kommunikation, fehlende Struktur und klassische Bewerbungsgespräche. Individuelle Anpassungen und offene Kommunikation helfen, diese Barrieren abzubauen.

Wie können Führungskräfte ein inklusives Arbeitsumfeld schaffen?

Wichtige Maßnahmen sind flexible Arbeitszeiten, ruhige Rückzugsorte, klare Strukturen, Schulungen für Teams und die Förderung einer wertschätzenden Unternehmenskultur.

Welche Tipps gibt es für neurodivergente Mitarbeitende?

Selbstreflexion, offene Kommunikation über eigene Bedürfnisse, Nutzung von digitalen Tools für Organisation und die Suche nach einem unterstützenden, inklusiven Arbeitgeber sind hilfreich.

null Symptome der Wechseljahre bewältigen: Hilfreiche Tipps

Fröhliche Frau im mittleren Alter
Body & Soul

Von Brainfog bis Jobstress: Wechseljahre meistern

Die Wechseljahre sind ein großer Einschnitt im Leben einer Frau. Anna Kipp-Menke, systemische Beraterin, und Giannina Schmelling, zertifizierte Ernährungsberaterin haben hilfreiche Tipps für einen guten Umgang mit häufigen Beschwerden.

Was passiert im Körper während der Wechseljahre?

Die Wechseljahre sind eine wichtige Lebensphase, die rund 9 Millionen Frauen in Deutschland betrifft. Die Auswirkungen sind sehr unterschiedlich: Etwa ein Drittel spürt starke Beschwerden, ein weiteres Drittel mäßige und ein Drittel kaum Symptome.

Während dieser Phase verändert sich der Hormonhaushalt tiefgreifend. Das wirkt auf den ganzen Körper. Meist zeigen sich Schlafstörungen, Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen, Konzentrationsprobleme und Gewichtszunahme.

Wichtiger Tipp: Regelmäßige Bewegung unterstützt den Körper und das Gehirn und kann Beschwerden mindern.

Wann beginnen die Wechseljahre und wie lange dauern sie?

Wechseljahre können schon Ende 30 mit ersten hormonellen Veränderungen beginnen – also lange vor dem Ausbleiben der Regelblutung (Menopause). Die Symptome entstehen zunächst durch einen Mangel an Progesteron, dessen Spiegel in den Wechseljahren als erstes abnimmt. Erst im Anschluss daran sinkt auch der Östrogenspiegel. Die hormonellen Veränderungen können sich dabei über einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren erstrecken. Deshalb unterscheidet man zwischen Prämenopause, Perimenopause und Postmenopause.

Was bewirkt die Menopause im Gehirn?

Viele Frauen leiden während der Menopause unter Konzentrationsproblemen und „Brainfog“. Das Gehirn reagiert auf die sinkenden Östrogenspiegel und passt sich an. Dabei kommt es zu vorübergehenden Veränderungen.

Diese neurologischen Symptome ähneln denen in anderen Lebensphasen wie Pubertät oder Schwangerschaft. Das Gehirn macht quasi ein hormonelles „Update“ und baut neue Vernetzungen auf.

 Was ist die Menopause?

Die Menopause ist der Zeitpunkt der letzten Menstruation und damit das Ende der Fruchtbarkeit (Fortpflanzungsfähigkeit). Durchschnittlich tritt die Menopause im Alter von 52 Jahren ein.

Die Perimenopause ist die Übergangsphase der Wechseljahre, die zur Menopause führt. In dieser Zeit beginnen die Eierstöcke allmählich weniger Östrogen und Progesteron zu produzieren, was zu körperlichen und emotionalen Veränderungen führen kann. Sie beginnt im Durchschnitt mit 47,5 Jahren. 

Warum sind die Wechseljahre evolutionär sinnvoll?

Die Menopause ist keine Krankheit oder Strafe. Viele Forschende vermuten, sie ist evolutionär sinnvoll. Denn „Großmütter spielen eine wichtige Rolle“, indem sie Familien unterstützen und Wissen weitergeben. Die Menopause bereitet Frauen auf diese neue Aufgabe vor.

So gelingt ein positives Mindset in den Wechseljahren

Wie Frauen die Wechseljahre erleben, hängt stark ihrer Einstellung ab. Wer diese Zeit als Chance statt als Krise sieht, erlebt oft mehr Gelassenheit und Selbstbewusstsein.

Diese Phase kann der Start für neue berufliche Wege, Beziehungen oder persönliche Ziele sein. Eine positive Haltung fördert das Wohlbefinden und hilft, Herausforderungen besser zu meistern.

Tipps für entspanntere Wechseljahre 

Das hilft gegen Konzentrationsprobleme und "Brainfog"

  • Akzeptieren Sie diese Symptome als vorübergehend.
  • Nutzen Sie Tracker für wichtige Dinge und ein festes Ablagesystem.
  • Legen Sie schwierige Aufgaben in Zeiten, in denen Sie sich gut konzentrieren können.
  • Atemübungen wie die 4-7-8-Übung bringen Klarheit in Ihre Gedanken.
  • Vermeiden Sie Multitasking. Erledigen Sie Aufgaben nacheinander.
  • To-do-Listen und Kalender bringen Struktur und Ruhe.

Bewegung: Eine Wunderwaffe gegen Wechseljahrsbeschwerden

Ausdauer- und Krafttraining, sowie Gleichgewichts- und Flexibilitätstraining wirken Wunder. Sie regulieren das Gewicht, senken das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und verbessern Schlaf und Stimmung. Schon regelmäßige Spaziergänge steigern das Wohlbefinden.

Ernährung für die Wechseljahre

Viele Frauen nehmen in den Wechseljahren Gewicht zu, vor allem am Bauch. Das erhöht Krankheitsrisiken. Eine ballaststoffreiche, vitamin- und mineralstoffreiche Ernährung hilft, den Stoffwechsel und die Gehirnfunktion zu unterstützen.

So vermeiden Sie Blutzuckerspitzen:

  • Bevorzugen Sie unverarbeitete Lebensmittel.
  • Essen Sie ausgewogen mit Proteinen, gesunden Fetten und komplexen Kohlenhydraten.
  • Machen Sie 4-5 Stunden Pausen zwischen den Mahlzeiten. Empfehlenswert: 3 Mahlzeiten täglich.

Empfehlenswerte Lebensmittel in den Wechseljahren

  • Omega-3-reiche Lebensmittel wie Leinöl, Chiasamen, fetter Fisch, Walnüsse und Avocado wirken entzündungshemmend.
  • Proteine in Fisch, Eiern, Hülsenfrüchten und Milch helfen die Muskelmasse zu erhalten.
  • Gemüse, Vollkornprodukte und Nüsse fördern die Verdauung und stabilisieren den Blutzucker.
  • Trinken Sie täglich mindestens 2 Liter Wasser oder ungesüßten Tee. Vermeiden Sie Kaffee und Alkohol, da sie Hitzewallungen verstärken können.

So lindern Sie Hitzewallungen

  • Tragen Sie Kleidung aus Naturfasern wie Wolle, Seide oder Baumwolle.
  • Nutzen Sie die Zwiebeltechnik: Mehrere dünne Schichten statt einer dicken.
  • Bevorzugen Sie Kleidung, die Arme und Hals frei lässt, z. B. Westen.
  • Tragen Sie Stofftaschentücher, Erfrischungstücher oder ein Fläschchen Kölnisch Wasser bei sich.
  • Offenes Ansprechen im Job kann helfen, z. B. „Ich mache kurz eine Pause zum Frischmachen.
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Die Wechseljahre sind nicht das Ende, sondern eine wertvolle Chance für einen neuen Lebensabschnitt. Nehmen Sie die körperlichen Veränderungen liebevoll an und nutzen Sie die Zeit, um gut mit sich selbst in Kontakt zu kommen." Anna Kipp-Menke, Systemische Beraterin

 

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Wechseljahre und Job: Warum es wichtig ist, darüber zu reden 

Frauen mit Wechseljahrsbeschwerden fallen am Arbeitsplatz oft durch das Raster. Während bei Grippe krankgemeldet wird, müssen Frauen Schlafstörungen, Hitzewallungen oder Konzentrationsschwierigkeiten meist verschweigen und normal weiterarbeiten.

Die Studie „Menosupport“ (2023) zeigt, dass Beschwerden Karriereentscheidungen beeinflussen und Frauen teilweise Stundenzahl reduzieren oder früher in Rente gehen.
Fakten aus der Studie:

  • 68 % wünschen sich offenere Kommunikation.
  • 57 % wollen mehr Unterstützung von Arbeitgebern.
  • 24 % reduzieren wegen Beschwerden ihre Arbeitszeit.
  • 19 % planen einen vorzeitigen Ruhestand.

Wie Arbeitgeber Frauen in den Wechseljahren unterstützen können

Offene Kommunikation fördern

Ein offenes Klima hilft, Tabus abzubauen. Frauen können so besser über Beschwerden sprechen und Hilfen erhalten.

Betriebliches Gesundheitsmanagement einbinden

Infos zu hormonellen Veränderungen, Ernährung und Prävention unterstützen Frauen gezielt.

Entlastung im Arbeitsalltag anbieten

  • Flexible Arbeitszeiten
  • Homeoffice bei Belastung
  • Ruheräume für kurze Pausen
  • Einfache Krankmeldungen

Psychosoziale Unterstützung ermöglichen

  • Psychologische Beratung (Betriebspsychologen).
  • Coaching und Mentoring speziell für Frauen.
  • Kurse zu Stressbewältigung, Meditation, Yoga, Achtsamkeit.
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 Buchtipp: Das Gehirn in der Menopause von Dr. Lisa Mosconi

Dr. Mosconi regt ein neues Bewusstsein für die Menopause an. Sie betrachtet sie nicht als Ende, sondern als wichtigen Übergang mit Chancen für Wachstum.
dtv Verlag, München, 2025

 

FAQ – häufige Fragen zu den Wechseljahren

Wie lange dauern die Wechseljahre?

Die Wechseljahre dauern etwa 4 bis 7 Jahre. Die Symptome treten meist zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr auf.

Hilft Bewegung wirklich gegen Beschwerden?

Ja. Sport verbessert die Stimmung, reguliert das Gewicht, fördert den Schlaf und kann Symptome wie Hitzewallungen lindern.

Welche Ernährung ist in den Wechseljahren sinnvoll?

Eine ballaststoffreiche, vitaminreiche und ausgewogene Ernährung mit gesunden Fetten und Proteinen unterstützt den Stoffwechsel und das Gehirn.

Wie kann ich Hitzewallungen schnell lindern?

Tragen Sie leichte Kleidung, nutzen Sie wie empfohlen die Zwiebeltechnik, und kühlen Sie sich bei Bedarf mit Erfrischungstüchern oder einem Ventilator.

Kann der Arbeitgeber mich in den Wechseljahren unterstützen?

Ja. Offene Kommunikation, flexible Arbeitszeiten, Homeoffice, Ruheräume und psychosoziale Unterstützung sind wichtige Hilfeangebote.